Lothar Borbe
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Re:Weihnachtsgeschichte - 16/12/2012 14:27
Lieber Norbert Panke,
Dein Aufruf zur Weihnachtsgeschichte hat auch mich mobilisiert. Alles liegt nun schon „soooo weit“ zurück. Ich will es dennoch versuchen, mich an einiges von damals zu erinnern, und ich beginne meine Weihnachten auf See Meine Seemannsweihnachten bei der DSR erlebte ich in der Zeit zwischen den Jahren 1957 und 1979. Die Erinnerungen daran sind vielfältig. Seemannsweihnachten gab es sowohl im Polargebiet als auch in tropischen Gefilden. Wenn man Glück hatte, lag man zum Fest in irgendeinem Hafen. Großes Glück hatten die Besatzungen, wenn ihr Schiff just zu den Weihnachtstagen in einem „christlichen“ Hafen lag. Dann herrschte wirklich Weihnachtsruhe ringsum. Gelegentlich erwischte uns das Christkind bei einer Liegezeit im Heimathafen. Der größte Teil der Stammbesatzung konnte über die Festtage nach Hause fahren und Weihnachten in Familie feiern. Die verbliebene Besatzung, einschließlich der Springer, genoss vor allem die besondere Aufmerksamkeit der Kombüse. Echte Stimmung kam dann selten auf. Die an Bord Gebliebenen haderten mit der Situation, zwar in der Heimat, aber dennoch allein, nicht bei der Familie sein zu können. Ich holte in solcher Lage immer Frau und Kinder an Bord und genoss trotz Verantwortung Ruhe und Entspannung und die Freude über einen zusätzlichen „Freien Tag“ für Arbeit an einem Feiertag. Einige außergewöhnliche See-Weihnachten sind mir im Gedächtnis geblieben. Einmal war ich bei Sturm und Seegang mit dem Dampfer THÄLMANN PIONIER im Mittelmeer. Selbst der fest verzurrte Weihnachtsbaum riss aus seiner Verankerung und landete neben Radio und Fernseher auf dem Boden der Mannschaftsmesse. In jenem Jahr fiel Weihnachten aus. Das heißt, die Feier zu diesem Ereignis war einfach ausgefallen. Das besonders gute Festessen war der Kombüse dennoch gelungen und die reedereispezifischen Vergünstigungen für derartig herausragende Tage, Feiertagszulage und Freie Tage für die Wachgänger regneten auch bei extremsten Wetterlagen auf die Begünstigten hernieder. Das Materielle tröstete mich immer über alle Unannehmlichkeiten, das heißt, über jede Weihnachtsmelancholi
e hinweg. Mit meiner Frau hatten wir uns auf alle Situationen eingerichtet: Wann Weihnachten ist, bestimmen wir! Wenn noch kurz vor den Festtagen ausgelaufen werden sollte, haben wir das Fest einfach vorverlegt. Zumindest den für unsere Kinder materiellen Teil, das Geschenke- verteilen. In anderen Familien wird das auch so oder so ähnlich gehandhabt geworden sein.
Wenn absehbar war, dass das Schiff Weihnachten auf See oder in irgendeinem ausländischen Hafen sein würde, lieferte die Schiffsversorgung die bestellten Weihnachtsbäume auch schon im November oder gar im Oktober. Es war in der DSR Brauch, vier Weihnachtstannen mitzunehmen. Zwei für beide Messen, eine dritte war für den Mast vorgesehen. Der vierte Baum war als Reserve und wurde bereitgehalten für den Fall, dass man unterwegs einen heimischen Dampfer traf, dessen Reise sich außerplanmäßig so verlängert hatte und er keinen Weihnachtsbaum an Bord hatte. Dem wurde das vierte Exemplar als Freundschaftsgabe, als Gruß aus der Heimat, als Geschenk übereignet. Eine meine schönsten Weihnachtsfeiern war 1969 auf der „Thale“ auf Heimreise aus Brasilien. Eine traumhafte stille Tropennacht, kein Schiffsverkehr, spiegelglatte See. Das Kreuz des Südens und das Leuchtfeuer von Fernando de Noronha achteraus. Die wachfreie Besatzung war auf dem Achterdeck versammelt. Bootsmann „Bummi“ machte den Weihnachtsmann. Trotz tropischer Temperatur Filzstiefel an den Füßen, mit Schafsfellmantel (Wachgänger), Bart aus Werg und selbst gebastelter roter Mütze verströmte er Fröhlichkeit und verteilte originelle Geschenke. Ein Ur-Sachse bekam ein eigens für ihn an Bord gefertigtes „ Deutsch-Sächsisches Wörterbuch“. Genau: deutsch=sächsisch/ sächsisch=deutsch. Darin war folgendes nachzuschlagen: Sächs. Gagge = dt. Kacke, Scheiße Ditschen = tauchen,eintauchen Bemme =Stulle, Scheibe Brot. Bohlen = poln. Staatsbürger/ dicke Bretter Um nur einige Beispiele zu benennen. Für „Nuh“ und „Escha“ waren ebenfalls die analogen „deutschen“ Bezeichnungen angegeben. Die sind mir allerdings und leider entfallen. In unserer Mitte lag ein richtiger Schneeberg und darin stand ein wirklich echter Schneemann. Schnee und Schneemann und sogar ein paar Schneebälle hatten ein paar Matrosen aus dem ersten Schnee, der vor Auslaufen in Rostock gefallen war, angefertigt und in der Gefrierlast zwischengelagert. Mit diesen Grüßen wollten wir unsere brasilianischen Geschäftspartner (Agent, Stauer), die noch nie Schnee gesehen hatten, überraschen. Das war uns gelungen. Sie waren beeindruckt und holten sogar ihre Familien zur Besichtigung dieser Sensation. Während wir uns nun auf Heimatkurs einer wirklich fröhlichen Weihnacht hingaben, wurde der Schneemann in unserer Runde kleiner und kleiner und schmolz in dieser tropischen Heiligen Nacht dahin. Nicht nur die Art der Weihnachtsfeiern konnte sich voneinander unterscheiden. Auch die Weihnachtsbäume sahen nicht immer gleich aus. An ganz hässlichen Krücken füllte man kahle Stellen mit zusätzlichen Ästen und verwandelte sie in Prachtexemplare. Überzählige Äste an einigen Stellen setzte man einfach um, indem man Löcher in den Stamm bohrte und diese abgeschnittenen Äste an anderer Stelle einfügte. Es kam auch schon vor, dass man aus zwei Bäumen einen machte. Meinen originellsten und wohl auch schönsten Weihnachtsbaum habe ich etwa 1978 oder 1979 auf MS BERLIN erlebt. Das war auf einer dieser langen Reise, als sich Bootsmann und Kabelgeist an der Herrichtung der Bäume heranmachen wollten. Kaum standen sie an Deck, kamen Zweifel. Sie waren wohl weit ab von den agrotechnisch optimalen Terminen, also viel zu früh geschlagen worden. Zur Qualitätskontrolle stuckte der Kabelgeist einen Baum mit dem Stumpf kurz aufs Deck. Unfassbar – alle Nadeln waren ab. Fast alle. Nach mehrmaligen kurzen Stupsern standen die Bäume nackt – kahl und braun. Alle Nadeln lagen an Deck. Was nun? VM „Max“ (Holger Altmann mit bürgerlichem Namen), nahm sich eine Farbspritzpistole und besprühte alle Bäume, Ast für Ast, mit Vinoflex Grün. Die trocknet sofort, wie man ja wohl noch weiß, und die satt aufgetragene grüne Farbe mit den üppigen Rotznasen zauberte in Sekundenschnelle einen außergewöhnlich schönen, grünen und einmaligen Weihnachtsbaum. Selbstverständlich hatte ich auch schon vor 1957 Weihnachten an Bord erlebt. Auf einem Minenräumboot in Peenemünde. Damals waren wir jung und ungebunden. Da gab es einfach keinen Platz für Weihnachtsmelancholi
e. Uns interessierte nur, ob unserem Smut in seiner Kombüse der Festtagsbraten gelingt und ob und wann es wieder Landgang gibt.
Und was war nun eigentlich das schönste an der Seefahrt? Der Heimathafen! To Hus is to Hus! In diesem Sinne auch für dieses Jahr: Frohe Weihnachten!
Lothar Borbe Georg-Büchner-Straße 1 18055 Rostock 03 81-1 20 86 12
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